Das Leben ist schön!

B Ü R O  T A G steht in dicken Lettern in meinem digitalen Kalender. Sofort beschleicht mich dieses Gefühl, das die einzelnen Buchstaben impulsartig übermächtig werden lässt. Bürotag bedeutet Steuervorbereitung, Ablagekörbe physisch reduzieren und digitale Ablage zumindest beginnen, Minimierung der unbequemen Seite der To-Do-Liste, Aufräumen der chaotischen Schubladen – kurzum: schon bei dem Gedanken an den bevorstehenden Bürotag fordere ich meine Synapsen heraus, mir möglichst nachvollziehbare und überzeugende Argumente zu liefern, um ohne schlechtes Gewissen dieses Event bewusst verschieben zu dürfen. Bürotage sind nun mal selbstgemachte Verabredungen nur mit mir selbst und kein Geschäftspartner wird durch eine spontane Verschiebung in Mitleidenschaft gezogen. Also ab dafür! Nächste Woche ist auch noch Zeit. Gut, dass ich so entscheidungsfreudig bin! Ich werde die mir selbst geschenkte Zeit genießen, in meinem Lieblingsladen ein neues Buch kaufen und mich damit an meinen Lieblingsplatz im Garten zurückziehen. Herrlich!

Knapp 60 Minuten später sitze ich am Schreibtisch und kämpfe mit dem Bürotag. Ich bin ein schwacher Mensch, wieso kann ich nicht einfach loslassen? Stattdessen höre ich auf die vertrauten Stimmen für Disziplin und Pflichtbewusstsein und gebe mich letztendlich mit der Aussicht auf ein befreiendes Gefühl nach getaner Arbeit friedfertig geschlagen. Ich atme tief ein und länger aus, das beruhigt mich ungemein und lässt mich die eigene Mitte finden – eine gute Basis für anstrengende Bürotage. Der Ablagekorb schreit als erstes nach Aufmerksamkeit und ich lege los in der Hoffnung schon bald in einen tranceartigen Flow zu kommen, damit ich das tue, was ich tun muss, ohne mir darüber im Klaren zu sein, was ich da tue. Das klappt eigentlich meistens ganz gut. Heute scheine ich aber einen Tag erwischt zu haben, der nicht offen ist für flowartige Zustände.

Ich schaue aus dem Fenster und beobachte eine Schar Bienen, die sich in einem satten Lavendelbusch unbeschwert tummeln. Es sieht so herrlich friedlich aus. Zu den Bienen gesellen sich auch durchaus proppere Hummeln. Propper, aber auch wunderschön. Ich lasse meinen Gedanken freien Lauf, denke an meine nächste Reise und überlege im nächsten Moment, welches Menü ich wohl dieses Jahr an Weihnachten kochen könnte. Ich freue mich für meine Nachbarn, die gerade ihr Haus renovieren und wundere mich, wieso mein bester Freund eigentlich gestern nicht mehr zurück gerufen hat…

Solche Gedanken sind einfach nicht förderlich für stringente Bürotage. Pragmatisch fordere ich bei mir selbst Fokussierung ein. Ich motiviere mich mit einem frischen Kaffee und bitte das Universum, mich endlich zielstrebig durch den Tag zu führen. Der Steuerordner behindert mein Sichtfeld. Verächtlich schaue ich ihn an, ich kann nämlich Steuerordner nicht leiden. Sie sind nüchtern, wenig empathisch und einfach schrecklich langweilig.

Die Bienen interessieren mich wirklich mehr. Ich bewundere sie und beobachte voller Demut, wie sie mit ihrer Arbeit die Welt retten. Jetzt gesellt sich ein hübscher, farbenfroher Schmetterling zu ihnen. Alle fliegen von Blüte zu Blüte, es ist ein herrliches, geschäftiges Hin und Her und niemals würden sie sich in ihren Flugkreisen treffen. Irgendwie sehen sie alle glücklich und zufrieden aus! Sie haben ja auch keine Bürotage!

Ich stelle überrascht fest, dass ich so nicht weiterkomme und spüre meine Zornesfalte, die mir ziemlich auf die Nerven geht. Mir fällt auf, dass ich inzwischen eine Sitzposition eingenommen habe, die in einem Bürostuhl nicht angemessen erscheint, allerdings möglicherweise geeignet ist, um ein Nickerchen zu machen. Ich wäre gerne eine Biene und möchte auch mit Leichtigkeit von Blüte zu Blüte schweben. Noch zweimal schlafen, dann ist Wochenende und wir fahren an die Küste. Was gibt’s eigentlich heute zu essen und wann kaufe ich mir nun endlich mal den neuen Lippenstift, den ich so dringend brauche…?

STOP! SCHLUSS! AUS!

Ich denke, ich bräuchte dringend ein Coaching zu dem Thema: ich möchte gerne wissen, wie ich diesen Tag so gestalten kann, dass ich dem Bürotag und den Bienen gleichermaßen gerecht werden kann!

Sich selbst zu coachen bedarf einer immensen Übung und ich persönlich bevorzuge den Austausch und die Sparringssituation. Aber erst gestern habe ich mich in einem Coaching wieder einmal der Metaebene bedient. Also schleiche ich mich bewusst aus der Situation und schaue sozusagen von oben oder wie eine 3. Person auf mein selbstgemachtes Chaos.

Intuitiv setze ich mich aufrecht hin und bewundere recht bald meine Schlauheit. Ich ändere den Bürotag in ein Zeitfenster von zwei Stunden mit hoher Konzentration und Fokussierung und freue mich, den Rest des Tages mit den Bienen und dem Buch im Garten genießen zu können.

Wieso bin ich da nicht früher drauf gekommen?  Das Leben ist schön!

Karin Heinrich
26.08.2019

Kommentare gerne an info@karinheinrich.de

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