Weniger ist einfach mehr!

Ich sitze in meinem grünen, knapp 14 m2 großen Zimmer, das mir zurzeit als Wohn- und Esszimmer, Küche und sogar Bügelzimmer dient. Gestern Abend haben wir genau hier mit Freunden Pizza gegessen und ein bisschen gefeiert: das Ende der knapp 6-wöchigen Renovierungsphase ist in Sicht und natürlich freue ich mich, meinen Wohnraum wieder großzügiger nutzen zu können. Andererseits hatten diese Wochen in diesem Zimmer etwas unglaublich Wohltuendes. Wir hatten alles, was wir brauchten, alles war an seinem Platz. Der Raum strahlte Geborgenheit aus und eine große Gemütlichkeit. Es erinnerte mich an meine Studentenzeit, an meine erste WG mit einer Mitbewohnerin. Wir wohnten in einer Zweizimmerwohnung mit zusammengewürfelten Möbeln und einem überschaubaren Sammelsurium an Küchenutensilien, aber ich fühlte mich frei und glücklich.

Bleibt die Frage, warum man im Laufe der Jahre anscheinend Freude daran findet, sich mit Dingen zu umgeben, die eigentlich kein Mensch braucht. Ein Haufen Tüddelütt versperrt schlichtweg die Sicht, eignet sich zu kaum mehr als einem Staubfänger, führt unfreiwillig zur Verstopfung von Schubladen und wenn man mal ein wichtiges Tüddelütt braucht, findet man es sowieso nicht wieder. Highlights dieser Erkenntnisse sind Kleiderschränke, deren Inhalt sich nicht nur in mindestens zwei Kleidergrößen präsentiert, sondern auch dazu verdammt scheint, zum Großteil ignoriert zu werden. Immer wieder trifft man auf Teile, die bereits an der Ladenkasse emotional aussortiert wurden, weil sie sich im Nachhinein eigentlich doch nicht so perfekt an die eigene – durch eine fälschliche Wahrnehmung in Erinnerung an frühere Zeiten –  perfekte Körperform anpassen. Warum kauft man das dann? Und natürlich fühle ich mich gelegentlich schon als Lobbyistin der Kosmetikindustrie, werfe ich einen bewussten Blick ins Badezimmer. Für mindestens zwei Drittel der Ablageflächen zeichne ich verantwortlich, Tendenz stark steigend! Mein Mann hat schon Sorge, dass er sich in Bälde mit seinen gefühlten 5 Männerbasics komplett aus dem Bad verabschieden muss.

Bleibt die Frage, warum tut Frau das? Ist man wirklich vollkommen zum Opfer unserer Konsumgesellschaft geworden ohne sich dessen bewusst zu sein? Und wie lange hält das Glücksgefühl wirklich an?  Ehrlich gesagt war ich bis zu dieser Renovierungserfahrung ziemlich sicher, dass ich immer gut überlege, bevor ich mich zum Kaufen entscheide. Und ja, die Neuanschaffung von Tüddelütt ist in den letzten Jahren auch schon deutlich weniger geworden, sicher auch unter dem Aspekt der Überprüfung auf Nachhaltigkeit. Aber kennen Sie den Schmerz, der entsteht, wenn man Liebgewonnenes aussortieren möchte, auch wenn die Frage meines Mannes, ob ich das denn wirklich noch benutze, mit einem klaren Nein beantwortet wird? Einfach schrecklich diese weiblichen Gefühle! Schnell hatte ich die Lösung parat: wir füllen eine  Flohmarktkiste mit all diesen infrage stehenden Tüddelütts und parken diese auf dem Dachboden. Hat den Vorteil, dass die Reduzierung von Überflüssigem gelungen scheint, aber die Teilchen noch da sind. Ein gutes Gefühl!

Dann kam die Renovierungsphase. Die nächste Flohmarktkiste wurde eingeweiht, in der Garage stapelten sich die Umzugskartons zum Zwischenparken. Mit der Erfahrung in dem grünen Zimmer kam schließlich die Erleuchtung: Reduktion auf das Wesentliche macht glücklicher. Weniger ist viel mehr! Die Flohmarktkisten wurden verschenkt, der Inhalt der Umzugskartons wesentlich reduziert, meine pragmatische Seite gab dieses Mal den Ton an. Sie glauben gar nicht, wie befreiend das war…und immer noch ist, denn die Renovierung ist längst abgeschlossen und es herrscht eine befreiende und erfrischende Klarheit im Haus. Auch wenn mein Mann höchst wahrscheinlich ganz gerne eine weitere Flohmarktkiste mit Tüddelütt gefüllt hätte. Tüddelütt ist eben Ansichtssache!

Karin Heinrich
29.01.2020

Kommentare gerne an info@karinheinrich.de

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