Ohne Lobby geht es nicht

Heute mal in eigener Sache! Es geht um „meine Branche“, die mir seit den 80er Jahren mein Leben durch großartige Künstler, wunderbare Gestaltungsmöglichkeiten, gigantische Konzerterlebnissen, eine außergewöhnliche Portion Lebensqualität und zahlreiche Glücksmomente versüßt hat. Und ich kann bestätigen, dass uns allen oft erst schmerzlich bewusst wird, was uns fehlt und welche Bedeutung es in unserem Leben hat, wenn es nicht mehr da ist. Ich kann die Anzahl der Konzerte nicht mehr zählen, die ich erleben durfte. Alles war so selbstverständlich und das Angebot war überwältigend.

Jetzt erleben wir seit März eine Pandemie und nichts ist mehr wie es war. Unsere Branche ist neben dem Gaststätten- und Hotelgewerbe und der Reisebranche von Anfang an am meisten von den Einschränkungen betroffen und ich erlebe nicht nur durch meine Vorstandsarbeit bei IMUC (Interessenverband Musikmanager & Consultants/www.imuc.de), sondern auch durch meine Arbeit als Coach wie existentiell diese Krise für viele ist. Es geht hier nicht um die geschätzt 10 % der Künstler, die diese Zeit ohne Reisen und Konzerte vielleicht auch einfach mal genießen, weil sie es sich leisten können. Es geht um die Künstler und Musiker, die u.a. ihre Familien durch Live-Auftritte ernähren und all die Menschen, die hinter den Kulissen arbeiten, ohne die dieses ganze Business überhaupt nicht funktionieren würde: Bühnenbauer, Ton Ingenieure, Stage Manager, Stage Hands, Managementagenturen, Konzertveranstalter, Booker, Merchandiser und viele mehr. Sie alle haben BERUFSVERBOT – sie dürfen nicht arbeiten und ihre Leidenschaft leben. Noch vor kurzem war sowas unvorstellbar und je länger die Pandemie dauert, desto größer sind die psychischen Belastungen, denn selbst den Optimisten steht das Wasser inzwischen bis zum Hals.

In dieser Pandemie geht es nicht um Schuld, denn das Virus kam, kennt keine Grenzen und wird bleiben. Und auch, wenn es offensichtlich zurecht die Hoffnung auf einen Impfstoff gibt, kann niemand voraussagen, wann das Live Business ohne Einschränkungen, die es kaufmännisch obsolet machen, wieder auf Kurs gehen kann. Und das ist es, dieses Nicht-planen-können, dieses Aushalten-müssen, diese Hilflosigkeit ohne klares Ziel und ohne Alternativen, was die meisten so schwermütig macht.

Viele Verbände haben sich zusammen geschlossen unter #Alarmstuferot, es gab Demonstrationen vor dem Bundestag und Die Ärzte traten in den Tagesthemen auf um ihr Album zu promoten, aber auch, um auf die desaströse Branchensituation aufmerksam zu machen. Insgesamt war ich sehr verwundert, dass die Anzahl der etablierten Künstler, die in die Offensive gingen und Stellung bezogen, überschaubar blieb.

Erst als Till Brönner, der von meiner geschätzten IMUC Vorstandskollegin Kleo Tümmler gemanagt wird,  seinem Unverständnis und seiner Wut über die fehlende Unterstützung seitens der Politik für die Branche und vor allem für die Solo Selbstständigen in einem Facebook-Beitrag Luft machte, hörte man genauer zu und in der Folge griffen die Medien das Thema endlich angemessen auf.

Für alle, die den Beitrag nicht kennen ist hier der Link, es lohnt sich:

https://www.facebook.com/tillbroenner/videos/ich-habe-mich-nach-langer-zeit-dazu-entschlossen-mich-zur-derzeitigen-corona-sit/1501640906891425/

Auch wenn sich inzwischen einiges bewegt, was den November Lockdown für die Live Branche betrifft, ist damit der Drops noch nicht gelutscht, denn das „Berufsverbot“ gilt mehr oder weniger seit März und die Politik hatte über lange Zeit leider nicht verstanden, dass die meisten Soloselbstständigen keine oder kaum Betriebskosten haben, die erstattet worden wären, sondern es schlichtweg um das Überleben geht nämlich die Übernahme der allmonatlichen laufenden Kosten. Immerhin soll es jetzt eine Einmalzahlung bis max. € 5.000,– geben, die sicherlich geteilt durch die Monate des meist eingetretenen Komplettausfalls in den meisten Fällen nicht kostendeckend sein wird.

Bleibt die Frage, warum das Sehen und Verstehen einer ganzen Branche dieser Dimension solange gedauert hat. Viele Zusammenschlüsse von Verbänden ersetzen keinen Dachverband, keine gemeinsame Interessenvertretung der gesamten Branche.

Ohne Lobbyarbeit geht es nicht – eine Erkenntnis, von der ich mir wünschen würde, dass daraus die richtigen Schlüsse für die Zukunft gezogen werden!  

Karin Heinrich, November 2020  

Kommentare gerne an info@karinheinrich.de

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